Das WIR-Gefühl auf Demos in NRW - Protest und Solidarität

 

Das WIR-Gefühl auf Demos in NRW - Protest und Solidarität

 

Text und Fotos: Lukas Staab

 

Franziska

 

Warum gehst du auf die Demos?

 

Ich bin nicht aus Belarus. Ich bin aus Deutschland und seit ungefähr 2016 kenne ich Tanja, die auch auf den vielen Demos in NRW dabei ist. Ich bin gut mit ihr befreundet und bin über das Thema „Belarus“ mit ihr in Kontakt gekommen. Mit ihrer Familie und ihren Freunden. Wir waren fünf Mal zusammen in Belarus in den letzten Jahren und hatten dann im letzten Jahr 2020, so im Vorfeld der Wahl mit ihr drüber gesprochen und viel mitbekommen. Als es dann nach der manipulierten Wahl in Belarus losging am 9. August mit den Demos. Ich die Bilder im Fernsehen auch noch sah, hatte ich natürlich viel mehr persönlichen Zugang dazu. Alles, was man hier in den deutschen Medien in viel abgeschwächter Form und viel später gesehen hat, bekam ich schon im Vorfeld der Wahl mit. Das war keine Frage, dass ich meine Freunde unterstütze und meine Solidarität ausdrücken will. Ich „hing quasi“ an Tanja dran. Sie hatte rausgefunden, dass in NRW Demos gegen das Regime angemeldet waren. Ich war dann aus reiner Solidarität dabei. Ich weiß gar nicht, ob ich mir so viel Sorgen gemacht habe. Man war erst mal empört und dann gab es ja, die erste Welle der Euphorie. Man wollte das eigentlich auch mit zelebrieren, also diese Stunde von „Nationen- Bildung“, wenn man das so sagen darf. Also das sich das belarussische Volk selbst und eine Stimme gefunden hat. Ich fand das ganz faszinierend und es war ein historischer Moment. Die weiteren Wochen hatte man dann das Gefühl, man musste trösten und aufbauen. Ja, deshalb bin ich auf den Demos und wenn man einmal angefangen hat und die Entwicklung miterlebt hat, muss man weiter hingeht.

 

Wie sensibilisierst du deine Mitmenschen über die Situation in Belarus?

 

Das ist eine interessante Frage. Ich bin da vielleicht auch in der ähnlichen Situation wie ihr. Ihr habt die Thematik mitbekommen, aber im Grunde hat man auch den Blick auf die deutschen Mainstreammedien. Man kann es auch einfach verpassen oder man tendiert wohl eher dazu, das in Relation zu setzen. Vor allem als es hieß, dass eine Person bei den Demonstrationen gestorben ist, und es 100 politische Gefangene auf den Straßen von Belarus gab. Vielleicht stand es in einer Relation zu dem, was sonst noch passiert in der Welt ist, wie zum Beispiel in Myanmar zu der Zeit. Dann klingt das in Belarus gar nicht so schrecklich, weil auch hier die Bilder und die Geschichten von Folter und Freiheitsberaubung und die Bedeutung von einem Gefängnisaufenthalts unvorstellbar sind. Wenn das Thema zur Sprache kommt und ich gefragt werde, von meinen Freunden und Kollegen, dann habe ich versucht, das genauso, zu beschreiben. Also dieses relativierende, was man selbst vielleicht genau so macht, dass man das ein bisschen auseinander fummelt und erklärt, dass dies verschiedene Themen sind und das belarussische Volk den Leuten ein bisschen näherbringt. Es ist eine Zivilgesellschaft, welche der Deutschen ziemlich ähnlich ist. Das könnte genauso in Deutschland passieren. Ich erzähle einzelne Geschichten von den Gefangenen, wie zum Beispiel von Freunden, denen das auch passiert ist und dann kommt es eher an. Denkst du die politische Lage in Belarus kann sich „normalisieren“? Wenn ja, wie? Wenn nein, warum? Die Frage kann ich eigentlich nicht beantworten. Man weiß es einfach nicht und eigentlich ist es alles Spekulation, weil ich kein großer Plan oder so dahinterstehe.   Es ist Kulturgeschichte und Menschheitsgeschichte im Gange und da kann man nicht sagen, wohin es geht. In dem Fall heißt normalisieren, ja auch demokratisieren. Aus unserer westlichen Sicht muss man das so sagen.

Wenn der Protest einfach abflacht und die Gesellschaft verliert, kann man auch sagen, dass die politische Lage sich für Belarus normalisiert hat, aus diktatorischer Sicht. Aber unterm Strich darf man einfach die Hoffnung nicht aufgeben. Viele Leute versuchen in ihr normales, unpolitisches Leben zurückzukehrend, was natürlich für die große Bewegung tödlich ist. Das heißt, es kann schon sein, dass sich das im Sande verläuft, aber das darf nicht passieren. Der Wunschtraum ist natürlich, dass das Lukaschenko-Regime abbrechen muss, weil dann auch keine Gelder mehr kommen. Auch aus Russland nicht und dass dann eben doch eine Wahl stattfindet. Also eine richtige Wahl.

 

 

 

Lena

 

Warum gehst du auf die Demos?

 

Ich gehe auf die Demo, weil die Lage in Belarus es nicht möglich macht, dass die Belarus*innen in ihrer Heimat auf die Straßen gehen und mit der demokratischen Bewegung weiter machen können, da sie direkt verhaftet werden. Aus diesem Grund ist die Rolle der Diaspora im Moment die größte. Fast in allen Städten oder in den meisten europäischen Ländern haben Das sind so die Gründe, warum ich auf die Demonstrationen gehe. Natürlich tut es mir selbst auch gut und vermindert mein Gefühl von Hilflosigkeit. Als ich an Silvester in Minsk war, war ich dort auch auf einer geheimen Demonstration und es war sehr erschreckend. Man hat in jedem Menschen einen Feind erkannt und man spielt dort mit seinem Leben, weil man nie weiß, was als nächstes kommt. Wenn ich auf der Demo bin und die anderen Demonstrant*innen sehe, habe ich das Gefühl, als würde ich einen kleinen Teil meiner Familie wiedersehen.

 

Wie sensibilisierst du deine Mitmenschen über die Situation in Belarus?

 

Das Sensibilisieren von Mitmenschen über die Situation in Belarus findet meistens in persönlichen Gesprächen statt. Beispielsweise habe ich Sticker auf meiner Handtasche und werde somit öfter auf die Situation dort angesprochen und man sieht, dass die Menschen wissen, was dort passiert. Ansonsten bin ich immer bereit, mit Menschen zu sprechen, die mich ansprechen und erzähle auch in den sozialen Netzwerken sehr viel. Meine Aufgabe ist es zu erklären, dass die Menschen sich nach Demokratie sehnen und alles Erdenkliche tun, um diese zu erreichen. Ich freu mich, auch wenn ich auf den Demos bin und Menschen, die vorbeigehen mich einfach ansprechen und wir in ein Gespräch kommen. Wir bitten nicht um Geld oder um eine finanzielle Unterstützung, wovon so viele ausgehen. Wir wollen nur über unsere Situation aufklären und unsere Geschichte zu erzählen.

 

Denkst du die politische Lage in Belarus kann sich „normalisieren“? Wenn ja, wie? Wenn nein, warum?

 

Die Lage in Belarus kann sich normalisieren und zwar an jedem Tag. Leider ist es nicht vorhersehbar, auf welche Art und Weise. Das besondere an der Situation in Belarus ist, dass das keine geopolitische Auseinandersetzung ist wie zum Beispiel damals in der Ukraine. Das Einzige, was das Volk will, ist den Diktator loszuwerden. Sonst herrschen eigentlich keine politischen Sorgen, außer den Diktator loszuwerden. Somit kann sich die Situation erst dann normalisieren, wenn der Diktator weg ist, und das wird auch passieren, denn anders ist es gar nicht möglich, weil alle Länder sich gegen ihn gewandt haben. Dementsprechend kann selbst wirtschaftlich nichts passieren. Ich kann nicht sagen, wie eine Veränderung zustande kommen wird, aber man hat ein tiefes Gefühl, dass es passieren wird. Wir sind auf einen langen Kampf eingestellt, aber was danach kommt, wissen wir noch nicht.

 

 

 

Viktor und Faina

 

Warum geht Ihr auf die Demos?

 

Wir gehen auf die Demo, weil wir uns emotional davon sehr angesprochen fühlen. Wir wollen etwas für unser Heimatland machen. Wir möchten unsere Solidarität mit und für die Menschen in Belarus zeigen.

 

Wie sensibilisiert ihr eure Mitmenschen über die Situation in Belarus?

 

Wir erzählen allen unseren deutschen Freunden und Arbeitskollegen, was in Belarus geschieht. Es ist unfassbar, was für ein Verbrechen in Mitteleuropa passiert. Wir fahren auch mit der belarussischen Flagge an unserem Auto.

 

Denkt ihr die politische Lage in Belarus kann sich „normalisieren“? Wenn ja, wie? Wenn nein, warum?

 

Natürlich wird sich die politische Lage in Belarus normalisieren, das ist nur eine Frage der Zeit. Wir glauben, die Sanktionen tun dem Regime nicht gut und wenn sich 97% der Bevölkerung dem Hauptfaschist und seiner faschistischen Bande (politischen) Tod bzw. Niederlage wünschen, dann wird sich das Leben in dem Land endlich bessern. Sein Regime hat in den 27 Jahren sehr viele Menschen umgebracht und Lukaschenko kämpft weiter, um die Freiheit der Menschen zu berauben. Aber er schafft es nicht und wird es nicht schaffen. Hoffentlich wird er mithilfe von deutschen Anwälten sein Leben in Den Haag verbringen. Belarus ist wie ein totalitärer Überwachungsstaat im diatopischen Roman von George Orwell dargestellt!

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lukas.staab006@stud.fh-dortmund.de